Dank an Günther für das Weiterleiten des folgenden sehr interessanten Artikels über Softwarepatente.
Happy hacking! Patrick
DIE ZEIT
29/2004
Vorsicht, digitale Sperrzonen
In der EU bahnt sich zwischen Ministerrat und Parlament ein Streit um die Patentierung von Software an. Microsoft und Co. dürfen auf eine neue Profitquelle hoffen
Von Stefan Krempl
Sie verkaufen ausgefallene Teesorten oder T-Shirts mit Slogans gegen George W. Bush ? Zigtausende von Ich-AG-Betreibern suchten in den vergangenen zwei Jahren ihre Chance im Internet. Jetzt droht den modernen Kleinkrämern allerhand Ungemach. Künftig müssen sie mit teuren Lizenzgebühren rechnen, zahlbar an große High-Tech-Unternehmen. Das jedenfalls sieht ein Vorschlag zur Patentierbarkeit von Computerprogrammen vor, auf den sich die Wettbewerbsexperten des Rates der Europäischen Union Mitte Mai geeinigt haben. Setzt er sich durch, wird die neue Richtlinie zur gefährlichen Falle für die Minihändler im Netz. Denn viele Standardkomponenten der Software, die gemeinhin bei der Konstruktion der Web-Shops genutzt werden, sind bereits mit Patentansprüchen belegt.
Insgesamt geht es um Besitzansprüche auf einem Markt, der allein in Westeuropa ein Volumen von 63 Milliarden Euro hat. Betroffen sind Programme aller Art. Beispielsweise der elektronische Einkaufswagen: Die Rechte an dem simplen Verfahren, einzelne Waren im Web zunächst in einer Liste zu sammeln und erst nach dem Rundgang im virtuellen Laden zu bezahlen, hat sich der kalifornische Server-Spezialist Sun Microsystems gesichert, nicht nur für seinen Heimatmarkt, sondern auch für Europa.
Sollte ein Web-Händler auf die nahe liegende Idee gekommen sein, gekaufte Waren auch als Geschenke an Dritte zu liefern, befindet er sich prinzipiell mit dem amerikanischen Netzgroßhändler Amazon im Clinch. Dem gehört seit einem Jahr ein europäisches Patent auf diese Methode. Noch weitere 18 dieser zweifelhaften Schutzansprüche hat der Förderverein für eine freie informationelle Infrastruktur (FFII) ausgemacht, in dem viele Software-Entwickler sowie mittelständische Programmierhäuser vertreten sind. Sie reichen vom Link auf ein größeres Produktfoto bis zum Verkauf von Gegenständen über ein Computernetz an sich.
Vor solchen breiten Ansprüchen auf die Rechte an digitale Geschäftsmethoden und damit eng verbundener Software könnte sich kaum ein Anwender retten. Im Herbst hatte das Europäische Parlament erst einmal einen Riegel vor die Patente geschoben und in erster Lesung hohe technische Anforderungen an ihre Erteilung gestellt. Doch dann nahm der Ministerrat diese Beschränkungen größtenteils wieder zurück.
Die deutsche Bundesregierung spielte in dieser Diskussion eine unrühmliche Rolle. So prangerte Elmar Hucko, Ministerialdirektor im Justizministerium, zunächst zwar öffentlich die Tatsache an, dass Patente verstärkt als Strategie zum »Niederknüppeln der Konkurrenz« missbraucht würden. In der entscheidenden Abstimmung aber enthielt sich Deutschland nicht wie angekündigt, sondern verhalf dem Papier nach geringfügigen Änderungen zum Segen des EU-Gremiums. Nur die rein formale Verabschiedung durch die Minister steht jetzt noch aus. Danach ist wieder das EU-Parlament am Zug. Sollten die neu gewählten EU-Volksvertreter bei ihrer Position bleiben, ist mit einem turbulenten Vermittlungsverfahren zu rechnen.
Das Bizarre an diesem Streit: Bislang dürfte es in Europa eigentlich gar keine Software-Patente geben. Computerprogramme sind nämlich gemäß dem Europäischen Patentübereinkommen, das die Grundregeln für die Gewährung des 20 Jahre gültigen Monopolschutzes auf Erfindungen festlegt, überhaupt nicht patentierbar. Gleichwohl lässt die Klausel gewisse Spielräume zu. So jedenfalls befindet das Europäische Patentamt in München seit 20 Jahren und hat zahlreiche Software-Patente erteilt. Insgesamt seien es rund 30000, schätzen die FFII-Aktivisten, die einige von ihnen in einem »Gruselkabinett« im Web sammeln. Darunter ist auch das Patent auf den »Fortschrittsbalken«, das dem Patentweltmeister IBM erteilt wurde. Damit ist das gängige Verfahren geschützt, das einen Computernutzer etwa beim Installieren eines Programms über den Stand der Aktion aufklärt.
Neben IBM oder Sun sind es noch einige weitere Größen aus der amerikanischen Industrie, die sich für Software-Patente in Europa stark machen. Der größte unter ihnen ist Microsoft. In den USA gibt es schon heute kaum noch Grenzen der Patentierbarkeit für Programme wie Geschäftsmethoden. Bekanntestes Beispiel ist das »Ein-Klick-Patent« Amazons, das den Check-out an der Online-Kasse ohne Umwege als Innovation ausweist. Von dem »technischen Bezug« einer Erfindung, wie er in Europa erforderlich ist, haben sich die USA längst verabschiedet. Doch auch europäische Konzerne wie Nokia oder Siemens haben sich mit dem Patentsystem amerikanischer Prägung arrangiert. Sie stärkten dem EU-Rat für seine Richtlinie zur offiziellen Einführung von Software-Patenten den Rücken.
Mit ihren Scharen von Patentanwälten haben die Konzerne schon viele Schutzrechte gesammelt, um für Lizenzstreite gewappnet zu sein. Auf diese Weise halten sie sich gegenseitig in Schach. Wer ganz auf Nummer sicher gehen will, schließt Abkommen über den wechselseitigen Zugang zu Patenten, wie es neuerdings auch Siemens und Microsoft praktizieren.
Angesichts dieser geballten industriellen Marktmacht wird es dem großen Rest der europäischen Software-Wirtschaft angst und bange. Im Gegensatz zu den USA ist der Markt hier von kleinen und mittelständischen Betrieben geprägt. Die wären damit überfordert, ständig zu prüfen, ob sie gegen irgendwelche Trivialpatente verstoßen. Auch die vielen europäischen Programmierer, die Software rund um das frei verfügbare Betriebssystem Linux entwickeln, fühlen sich bedroht.
Florian Müller, Unternehmensplaner beim Datenbankhersteller MySQL, spricht für die Branche in Europa, wenn er sagt: »Wir sehen im Urheberrecht den sinnvolleren Schutz.« Das Copyright sichert, dass Programme nicht ohne weiteres geklont werden dürfen. Und es schützt die so genannten materiellen Ausführungen einer Idee, nicht aber diese selbst. Glaubt man den Gegnern, sollen die vom EU-Rat geplanten Regeln jedoch genau das tun: Ideen rechtlich einfangen und damit weiteren Innovationen den Garaus machen. Warum, fragen sie rhetorisch, patentiert man künftig neben einer verbesserten Waschmaschinentechnik nicht gleich das gesamte Verfahren, das da heißt: »Säubern schmutziger Kleidung«. Und gerade Software-Patente seien so breit angelegt, dass jedes Programm von Hunderten von Schutzansprüchen betroffen sei. Um überhaupt noch ihrer Arbeit nachgehen zu können, müssten Software-Entwickler künftig fast jeden Schritt von Patentanwälten prüfen lassen oder sich auf die Gnade der Rechteinhaber verlassen.
»Der Gesetzesvorschlag zu den Software-Patenten läuft den Interessen der zumeist mittelständischen Software-Unternehmen in Deutschland diametral entgegen«, sagt auch Mario Ohoven, Präsident des Bundesverbandes mittelständische Wirtschaft. Er befürchtet, dass Programmierideen »zu einer Art geistiger Sperrzone« erklärt werden könnten. Wenn die EU das Patentrecht auf Software ausweitet und somit die vom Europäischen Patent-amt schon vergebenen Schutzrechte sanktioniert, würde das auch manch größerem Unternehmen wie der Internet-Firma 1&1 zu schaffen machen. »Heute selbstverständliche Dinge wie E-Mail oder nahezu jeden anderen Dienst im Internet« sieht Achim Weiss, Entwicklungschef bei dem Netz-Provider, »in ihrer jetzigen Verwendung behindert«. Die Branche fürchtet, dass ihr Wachstumsmotor, die rasante Weiterentwicklung von Netzen und Diensten, abgewürgt werde.
Seltsamerweise haben beide Lager das Schlagwort der Innovation auf ihrem Banner. Doch noch sei kein ernst zu nehmender Ökonom für den Patentschutz eingetreten oder habe ihn gar innovationsfördernd beschrieben, fasst Bernd Lutterbeck, Professor für Informationsrecht an der Technischen Universität Berlin, die wachsende Zahl der wissenschaftlichen Studien zum Thema zusammen. Nicht nur für Software, sondern auch bei der Biotechnologie warnen Forscher vor einer »Überhitzung« des Patentsystems. Den Markt just durch immer mehr staatliche Schutzrechte dynamisieren zu wollen sei ein logischer Fehler.
Selbst so mancher Befürworter von Software-Patenten in der Industrie könnte sich letztlich selbst Steine in den Weg legen. Aktuelles Beispiel ist jene neue Technik, die es möglich macht, via Internet zu telefonieren. Sie verspricht lukrative Geschäftsfelder und Kostensenkungen. Dieser Innovation gibt Professor Henning Schulzrinne von der amerikanischen Columbia University allerdings keine Chance auf Märkten, in denen Software-Patente eine gesetzliche Grundlage bekommen. Firmen, die auf einem solchen verminten Gelände tätig werden wollten, bliebe wenig anderes übrig, als zu warten, bis die Schutzrechte ausgelaufen seien. Mit anderen Worten: Europa könnte sich schlicht dadurch einen Wettbewerbsvorteil gegenüber den USA sichern, dass es die Patentfalle vermeidet.
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